Egon Krenz: Wir und die Russen

Egon Krenz »Wir und die Russen« klettert die SPIEGEL Online Bestsellerliste in der Kategorie »Taschenbuch/Sachbuch« weiter nach oben und landet in der Kalenderwoche 33 auf Platz 10: Moskau hätte die Panzer rollen lassen, wenn der Kreml darum ersucht worden wäre. Doch diese Bitte hat Berlin nie geäußert. Im Gegenteil: Die DDR-Führung wurde in Wünsdorf vorstellig und appellierte an die Militärspitze der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland: Bleibt in den Kasernen! Ein solches Ersuchen war nötig, denn die Soldaten schickten sich an, zu den planmäßigen Manövern auszurücken. Im Herbst 1989 wäre das gewiss als deutliches Signal missverstanden worden. Mit gefährlichen, unübersehbaren Folgen im In- wie im Ausland. Egon Krenz, im Herbst 1989 in der Nachfolge Honeckers Staats- und Parteichef geworden, sorgte mit dieser Entscheidung maßgeblich dafür, dass der gesellschaftliche Umbruch in der DDR friedlich blieb.

Das Verhältnis zur Sowjetunion, zunächst Besatzungs-, dann Führungsmacht, war in jeder Hinsicht für die DDR von existentieller Bedeutung. Krenz nahm die Vorgänge vor dreißig Jahren jetzt zum Anlass, seine ungewöhnlichen Erlebnisse und Erfahrungen im Umgang mit den Russen öffentlich zu machen. Er dolmetschte Gespräche zwischen Honecker und Gorbatschow, die keine Nachrichtenagentur vermeldete, er wurde von Verteidigungsminister Ustinow bereits 1984 aufgefordert, Honecker zu stürzen ... In »Wir und die Russen - Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau im Herbst '89«  erzählt Krenz erstmals, wie sehr Gorbatschow wegen dessen deutsch-deutscher Kontakte Honecker miss-traute, und warum Honecker argwöhnte, dass die DDR von großmacht-politischen Interessen des Kreml untergepflügt werden würde. Beide Seiten hatten nicht unrecht. Krenz liefert Belege. Das, was Egon Krenz über Freundschaft und Zusammenarbeit, Misstrauen und Verrat zwischen zwei Staaten und Parteien mitteilt, ist nicht nur ein exklusives zeitgeschichtliches Zeugnis, weil es ein Insider notiert hat. Erstmals werden hier Sachverhalte publik gemacht, die überhaupt nicht bekannt sind. Wir haben es mit einem ungewöhnlichen Dokument der Zeitgeschichte zu tun. Aber auch mit einem sehr gegenwärtigen. Diese Erinnerungen erklären zugleich, warum die aktuelle Russophobie von der Mehrheit der Ostdeutschen abgelehnt wird. Beim Blick in die Vergangenheit wird die Gegenwart verständlich.

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