Wie DEUTSCHLAND sein Ansehen bei den RUSSEN verspielt

Das Vorwort von Gabriele Krone-Schmalz aus dem Buch »Anmaßung« von Alexander Rahr.
Es sollte uns interessieren, was Russen von Deutschen halten und was sie über Deutschland denken. Warum? Weil Russland mehr ist als eine »zusammengekrachte Supermacht« und weil eigentlich jeder – ganz gleich wel­cher Ideologie er sich verbunden fühlt – wissen müsste, dass das Wohlergehen Europas von einem guten, zumin­dest auskömmlichen Verhältnis zwischen Deutschland und Russland abhängt.

Erfahrung zeigt, dass Staaten immer dann besonders gut miteinander auskommen, wenn sie aufeinander angewiesen sind und – nicht zu unterschätzen – wenn diejenigen, die es miteinander zu tun haben, sich gegenseitig vertrauen. Man kann nicht oft genug wiederholen, welch großen Anteil die von Grundvertrauen geprägte personelle politische Konstel­lation an der deutschen Wiedervereinigung hatte. Die entscheidenden Namen dazu heißen: Michail Gorba­tschow und Helmut Kohl, die jeweiligen Außenminister Hans­ Dietrich Genscher und Eduard Schewardnadze und, nicht zu vergessen, der amerikanische Präsident George Bush senior.
Von gegenseitigem Vertrauen sind wir weiter ent­fernt denn je. In zahlreichen Publikationen ist hinlänglich ausgeführt, warum es trotz der enormen Chancen, die jene Zeiten mit ihrer kraftvollen Aufbruchsstimmung boten, abhandengekommen ist. Es ist müßig, akribisch aufzuführen, wer an welcher Stelle welche Chancen hat verstreichen lassen. Das führt lediglich zu gegenseitigen Schuldzuweisungen und weiteren Verletzungen. Aber es ist von existentieller Bedeutung anzuerkennen, dass es nicht nur ein deutsches, ein westliches Narrativ dieser Entwicklung gibt, sondern eben auch ein russisches. Die angesichts des derzeitigen politischen Personals ohnehin kleine Chance, aus der verfahrenen Situation möglichst bald wieder herauszufinden, wird vollends zunichte, wenn russische Narrative hierzulande von vornherein als unberechtigt, infame Propaganda oder Lügengebäude betrachtet werden. Natürlich muss und sollte man nicht alles glauben – ganz gleich, um welchen Staat es sich handelt –, aber wir sollten zumindest zu­ hören und auch hören wollen, was unsere russischen Nachbarn uns zu sagen haben.
Es fällt auf, dass in unserem Land in der Regel nur zwei Kategorien russischer Gesprächs­ oder Interview­partner zu Wort kommen: offizielle Regierungsvertreter und ausgewiesene Kremlkritiker. »Neutrale« Experten muss man mit der Lupe suchen, und Straßenumfragen vermitteln stets ein Bild, als gäbe es nur entweder blinde Regierungsunterstützer oder sich ereifernde Putin­ Kri­tiker. Das vielfältige Spektrum dazwischen kommt nicht vor, und es scheint auch nicht wirklich zu interessieren.
Ob Russland zu Europa gehört oder nicht – mit Publi­kationen zu dieser Frage lassen sich ganze Bibliotheken füllen. Und die Antworten fallen alles andere als ein­deutig aus. Russland ist politisch betrachtet ganz sicher kein asiatisches Land, auch wenn sich der größte Teil
Russlands auf dem asiatischen Kontinent befindet. Und Eurasien ist mehr als nur ein geografischer Begriff. Es ist eine politische und wirtschaftliche Option, die nicht nur eine große, sondern die Chance schlechthin bietet, sich in einer Welt zu behaupten, in der sich die Gewichte so dramatisch verschoben haben. Die USA werden schwä­cher und China wird stärker, beides in einem Ausmaß, mit dem kaum jemand gerechnet hat.
Angesichts dieser Tatsache ist es von ganz besonde­rer Bedeutung und nicht zuletzt in unserem eigenen Interesse, darüber Bescheid zu wissen, was Russen von Deutschen halten und was sie über Deutschland denken.
Sowohl die russische als auch die deutsche Seite schleppen wegen der gegenseitigen hohen Erwartungs­haltung ihre Enttäuschungen mit sich herum.
Die einen sind enttäuscht darüber, dass die Peres­troika­ Politik Gorbatschows nicht geradlinig und zü­gig in ein durch und durch demokratisch strukturiertes Staatswesen geführt hat. Die anderen hatten erwartet, in Deutschland einen Fürsprecher in der westlichen Welt zu haben. Wer nichts erwartet, kann auch nicht ent­ täuscht werden und tut sich gegebenenfalls viel leichter, ein ramponiertes Verhältnis zu reparieren. Es sind aber nicht nur die knallharten messbaren politischen Kate­gorien, um die es geht. Auch Befindlichkeiten spielen eine wichtige Rolle. Sie werden vielfach unterschätzt. Ein Fehler. Sonst wäre vielleicht schon eher zur Kennt­nis genommen worden, wie Deutschland sein Ansehen bei den Russen verspielt.

»Ich habe das Buch »Anmaßung« von Alexander Rahr gelesen, welches meinen Horizont erweitert hat.« - Milena Preradovic

Die unabhängige Journalistin von PUNKT.PRERADOVIC hat ein ausführliches Interview mit unserem Russland-Experten Alexander Rahr geführt. Im Mittelpunkt stehen die deutsch-russischen Beziehungen, die ihren Tiefpunkt erreicht haben. Doch wie konnte es dazu kommen? Alexander Rahr kennt die wichtigen Fragen, die sich Deutschland stellen muss: Was und wie denken die Russen über Deutschland und die Deutschen? Woher rührt die wachsende Entfremdung? Von wem geht diese Entfremdung aus, wo führt sie hin?

Das Interview in voller Länge finden Sie hier:
https://www.youtube.com/watch?v=ngvlRojmCic