Zum 90. Geburtstag am 13. März von Wolfgang Kohlhaase

Aus gegebenen Anlass ist soeben das Buch »Um die Ecke in die Welt« von dem preisgekrönte Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase erschienen. Was Kohlhaase über die Leute sagt, die seinen Weg kreuzten oder mit denen er an wichtigen Filmen arbeitete, gibt tiefe Einsichten.
In diesem Auszug spricht Matti Geschonneck mit Wolfgang Kohlhaase über den Roman »In Zeiten des abnehmenden Lichts«:

Herr Kohlhaase, was haben Sie beim Lesen von Eugen Ruges Roman »In Zeiten des abnehmenden Lichts« für sich entdeckt?

Wolfgang Kohlhaase: Zunächst möchte ich sagen,dass ich gern seinen Vater gelesen habe, den Historiker Wolfgang Ruge. Er schrieb erhellend und unprofessoral über die Weimarer Republik und über die Umstände, die zu Hitler führten. Eugen Ruge kannte ich nicht. Ich las »In Zeiten des abnehmenden Lichts«, und mir fiel der Ton der Geschichte auf, ein leichter Ton für ein schweres Thema. Dann erfuhr ich, dass er über seine Familie geschrieben hatte. Ich hatte Menschen mit ähnlichen deutschen Lebensläufen kennengelernt, wie Ruge sie beschreibt. Ihre Wege waren Fluchtwege und hatten um die Welt geführt, nach Frankreich und Mexiko, nach New York und Moskau. Und manche hatten mit linker Gesinnung in sibirischen Lagern überlebt. Solche Menschen waren damals, bald nach dem Krieg, als ich anfing, zu denken und zu lesen, sehr wichtig für mich.

Was vor allem haben Sie an ihnen bemerkt?
Kohlhaase: Ihren besonderen Blick auf Geschichte. Ihre Bildung, aber auch ihre Geduld und Bescheidenheit haben mich berührt. Dabei waren es doch Leute, die die Widersprüche des Jahrhunderts ausgetragen und erlitten haben.

Dachten Sie beim Lesen des Buches sofort an eine Verfilmung?
Kohlhaase: Es war zuerst eine Art Einmann-Idee. Ich wusste, was nicht ging. Der Roman ließ sich nicht einfach kürzen. Und ich wollte keinen Mehrteiler fürs Fernsehen machen.

Haben Sie sich mit Eugen Ruge getroffen?
Kohlhaase: Ja.Ich hatte eine Art Plan für das Drehbuch,auf ein paar Seiten. Das hatte noch den Charakter eines Versuchs. Wir waren uns einig, dass der Film seine Autonomie suchen muss. Das betraf Text und Untertext, Dramaturgie, die Rangordnung der Personen, die Dialoge. Der Stoff musste Material werden und dann wieder Form.

Welche Entscheidungen grundsätzlicher Art haben Sie für die Struktur des Drehbuchs getroffen?
Kohlhaase: Das eben Gesagte. Außerdem:keine Rückblenden.

Herr Geschonneck, wann sind Sie zu »In Zeiten des abnehmenden Lichts« als Projekt gestoßen?
Matti Geschonneck: Ich las zuerst über den Roman.Dann beim eigentichen Lesen des Buches haben mich vor allem die Figuren interessiert. Wie Wolfgang Kohlhaase kannte ich aus meinem privaten Umfeld reale Personen mit ähnlichen Biografien, aus meiner Familie, aus meiner Schulzeit in der DDR, aber auch aus den Jahren meines Studiums in der Sowjetunion. Mir ist Russland, das im Buch eine große Rolle spielt, in seiner Schönheit, aber auch in seiner Zerrissenheit und Gewalt, sehr nahe.

(Auszug Seite 106-107)