Auf ein Käffchen mit Walter Plathe

Walter Plathe im BERLINER KURIER! Er spricht über seine Kindheit und sein aktuelles Buch »Habe die Ehre ... Zille«. In diesem begibt sich der Urberliner Plathe auf die Spur des Mannes, der – nach Tucholsky – »die reinste Inkarnation Berlins verkörpert«. Plathe lässt den Meister selbst zu Wort kommen. In den Anekdoten und Geschichten lebt der unverwüstliche, oft bittere, stets aber menschenfreundliche Witz Zilles auf.

Um Sie sofort auf den Geschmack zu bringen, gibt´s hier gleich eine kleine Leseprobe aus dem Buch:

VORBEMERKUNG

Meine Kindheit, das war die Ackerstraße in Berlin. Armeleutegegend, Proletarierviertel, Zille-Gegend.

»Ich bin gestiegen«, sagte Zille mit feiner und bitterer Ironie, als er in die bessere Gegend von Charlottenburg zog. Dass solche Art »Aufstieg« ihn nicht von den Menschen entfernte, denen er sich zugehörig fühlte – man sieht es in seinen Bildern.

Auch ich bin »gestiegen«: großgeworden im ersten Hinterhof Ackerstraße 149, Klo außen, Parterre, in Stube und Küche. Dank meiner fleißigen Mutter, die irgendwann die Portiersstelle übernahm, zogen wir in die Portierswohnung im Vorderhaus 1. Stock. Dort hatte ich ein Zimmerchen für mich und ein Klo nur für uns. Als ich drei oder vier war, pflanzte ein Nachbar im Hof eine Kastanie: »Immer schön jießen!« Wir Kinder versprachen es. Manchmal spaziere ich heute zu »meiner« Kastanie. Sie ist gewachsen, wie wir auch, und reicht inzwischen bis zum 3. Stock. Mein Anstieg hielt an. Ich landete in der Linienstraße, und von dort aus auf der Theaterbühne. Kurzum, aus der Berliner Göre wurde ein Schauspieler. Nachdem ich für viele Jahre weggezogen war, lebe ich jetzt wieder in dieser Gegend. Die Häuser sind saniert, die Wohnungen von »Besserverdienenden« bewohnt, auf den begrünten Höfen muss kein Kind mehr »von die Blume weggehen«. Touristen durchstreifen die Straßen, denn hier, so sagen es die Reiseführer, schlägt das Herz Berlins. Ob die Gäste der stylischen Cafés wissen, was sich einst in den Bouillonkellern und Kellerkneipen abspielte? Zille hat es festgehalten. Auch das Volksvergnügen in Tanzsälen und im Freibad, den Alltag auf Straßen und Märkten, Kabarett und Tingeltangel. Also Berlin, wie es einst war? – Das ist es nicht, was mich an seinen Bildern berührt. Ich sehe ihn als einen Künstler, dessen Seele voller Menschenliebe war.

Meine liebe Tante Herta sorgte sich schon früh darum, mir genügend Bildung zukommen zu lassen. Laufend bekam ich Bücher, Bücher, Bücher. Ich mag zehn Jahre alt gewesen sein, als sie mir »Das Dicke Zillebuch« schenkte. Ich schlug es auf und dachte, mich trifft der Schlag. Da war so vieles, was ich kannte. Ich sah die Teppichstange, darunter spielten verdreckte Kinder, und irgendeine Olle rief aus dem 4. Stock herunter: »Iphigenie, olle Sau, komm oben.« Auch sah ich mich mit meinem Nachttöpfchen ernsthaft beschäftigt durch die Küche rutschen. All dieses muss ich unbewusst aufgesogen haben, unter anderem auch, wie solidarisch die Menschen miteinander umgingen. Viele Jahre später, ich war schon längst in meinem Beruf erfolgreich, fiel mir schmerzlich auf, wie wenig die Stadt Berlin für ihren Ehrenbürger Heinrich Zille tat. Das veranlasste mich, mit Kollegen wie Grothum, Juhnke, Völz, Pfitzmann und dem Urenkel des Malers das Zillemuseum zu gründen. Bis heute kämpfen wir um unser Dasein. Aber wat soll’s, eene Aufgabe braucht ja der Mensch!

In diesem Buch lasse ich den Maler zu Wort kommen. Es ist mir eine Ehre, Ihnen den großen Künstler, den Pinselheinrich, den Meister Zille vorzustellen.

Walter Plathe